Gegenwartsgespräche | Ana Rodriguez-Guerrero & Stefanie Kopka

08.03.2023 - 09:00 bis 10:00
Porträtfoto Ana Rodriguez-Guerrero

Das beliebte Format der Gegenwartsgespräche von ABZ*AUSTRIA findet am Internationalen Frauentag, dem 8. März 2023, zum 11. Mal statt. Die beiden Geschäftsführerinnen von ABZ*AUSTRIA, Manuela Vollmann und Daniela Schallert, begrüßen im Online-Talk Ana Rodriguez-Guerrero und Stefanie Kopka, die sich bei Bosch im Top-Sharing-Modell die Position als Gruppenleiterinnen in der Softwareentwicklung teilen.

Stefanie Kopka hat ein Studium der technischen Physik und Mikroelektronik an der TU Wien absolviert und ist 2015 bei Bosch eingestiegen. Nach verschiedenen Stationen in Österreich, Deutschland und Indien zum Thema Softwareentwicklung und Automotive E/E Architekturen, hat sie in Wien die Projektleitung im Bereich Powertrain Solutions und die Akquise für eine neue Steuergerätegeneration übernommen. Später hat sie ein internes Innovationsprogramm aufgebaut, das sie noch heute verantwortet.

Ana Rodriguez-Guerrero hat ein Studium für Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen in Spanien abgeschlossen, ein Austauschjahr an der TU Wien absolviert und bereits 2011 bei Bosch als Softwareentwicklerin im Bereich Powertrain Solutions angefangen. Bei Bosch konnte sie in unterschiedlichen Rollen in der Softwareentwicklung zunehmend Verantwortung und Führungspositionen als Teamleiterin und Gruppenleiterin übernehmen“, stellt Manuela Vollmann die Softwareentwicklerinnen vor.

Porträtfoto Stefanie Kopka

„Seit vielen Jahren beschäftigen wir uns bei ABZ*AUSTRIA mit neuen Führungs-, Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationmodellen, um den Anforderungen für die Vereinbarkeit von Beruf-, Familie und Privatleben zu begegnen. Wir beraten und coachen auch Unternehmen zu Shared-Leadership-Modellen. Top-Sharing ist für uns mehr als ein theoretisches Konstrukt oder eine Zukunftsversion. Vielmehr ist es ein Modell, dass ich mit Daniela Schallert seit vielen Jahren lebe und übrigens auch schon davor mit Danielas Vorgängerin in der Geschäftsführung Helene Schrolmberger. Deshalb ist es für uns und wir hoffen auch für Sie von besonderem Interesse, dieses Modell näher vorzustellen und zu beleuchten. Stefanie Kopka und Anna Rodriguez leben dieses Modell und wir freuen uns heute sehr aus ihrer Perspektive einen Einblick in ihre Erfahrungen damit zu gewinnen“, leitet Manuela Vollmann den Online-Talk ein.

Mentimeter-Umfrage

Mentimeter-Cloud mit Begriffen

„Was stellst du dir unter Top-Sharing vor?“ lautet die Mentimeter-Umfrage, die den Zuschauer*innen gestellt wird. Vereinbarkeit, Gleichberechtigung, geteilte Verantwortung, bessere Entscheidungen, sind die Top-Antworten in der Word Cloud (siehe Grafik).

Genauso wie Rodriguez-Guerrero freut sich Kopka über die Einladung und sieht ABZ*AUSTRIA als „ein riesengroßes Vorbild bei Themen wie Frauen in Führungspositionen und Arbeitszeitmodellen“. Sie weiß, dass sich viele Frauen wegen der Betreuungspflichten, der Pflegearbeit, etc. für Teilzeit entscheiden – und nicht, weil sie keine Karriere möchten: „Unser Top-Sharing-Modell ist eine Möglichkeit, wie man Teilzeit und Führung kombinieren kann, wie man Karriere und sonstige private Verpflichtungen sowie Betreuungspflichten unter einen Hut bekommen kann“. 

Zahlen und Fakten

Kopka hat Grafiken mit Zahlen und Fakten mitgebracht: „Wenn man in die statistischen Daten reinschaut, ist Führung männlich und in Vollzeit. Fast die Hälfte der Erwerbstätigen sind zwar Frauen, aber zwei Drittel der Führungskräfte sind Männer. Nur neun Prozent der Geschäftsführungspositionen werden von Frauen besetzt. Bei der Teilzeit sehen wir, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen der Teilzeit-Anteil in den letzten zehn Jahren gestiegen ist, bei Männern fast noch mehr als bei Frauen. Trotzdem arbeiten nur elf Prozent der Männer, aber rund die Hälfte der Frauen in Teilzeit. Nur zehn Prozent der Führungskräfte arbeiten in Teilzeit. Bei den Hochschulabsolventen haben die Frauen die Männer mittlerweile überholt, deswegen ist es ein massives Ungleichgewicht“, findet Stefanie Kopka. „Kinderbetreuung und Pflege sind leider weiblich dominiert. Die Folgen für Frauen sind weniger Verdienstmöglichkeiten und höhere Altersarmut“, so Kopka. Sie arbeitet 30 Stunden und Ana Rodriguez-Guerrero 25 Stunden pro Woche.

Ana Rodriguez-Guerrero erzählt weiter: „Ich habe bei Bosch als Entwicklerin angefangen, später war ich die Stellvertretung des Teamleiters, dann Teamleiterin. Als ich mit meinem ersten Baby in Karenz war, fragte mich mein Chef, ob ich die Gruppenleitung übernehmen möchte. Ich war sofort sehr interessiert, meine Bedingung war jedoch Teilzeit, um Karriere und Familie zu vereinbaren. Ab dem Sommer 2019 habe ich in Teilzeit eine Gruppe von zweiundzwanzig Personen geführt. Dann kam Corona und ich habe die Gruppe remote geführt, 30 Stunden pro Woche, das war schwierig, obwohl auch mein Mann in Teilzeit gearbeitet hat. 2020 war ich wieder schwanger, mein Abteilungsleiter kam mit der damals exotischen Idee des Top-Sharings und Stefanie kam in the picture.“

„2020 bin ich zurückgekommen aus meiner ersten Elternzeit mit dem Anspruch mehr in Richtung Führung zu machen“, berichtet Stefanie Kopka. „Ich habe ein Jahr Ana in ihrer Führungsposition vertreten, zuerst mit 25 Stunden und sukzessiv ein bisschen aufgestockt. Als Ana zurückgekommen ist haben wir für uns ein Modell entwickelt, das für uns und auch für das Umfeld gut gepasst hat.“

„Kein Splitting, sondern Job Sharing“

„Für mich ist Top Sharing vor allem diese Freude am Führen, gemeinsam viele Bälle in der Luft zu halten, mehr als einer allein schafft. Für uns ist es kein Splitting, sondern ein Job Sharing, wo wir beide die gleiche Verantwortung haben, uns aber gewisse Aufgaben Situationselastisch aufteilen können. Das hängt mit den Rahmenbedingungen zusammen. Wir sind in der Softwareentwicklung tätig, ein kreativer Bereich, bei dem man sich mit einem Qualitätsproblem intensiv beschäftigen muss, sich ins Produkt rein denken muss, sich mit vielen Stakeholdern absprechen muss. Wir haben gelernt, gegenseitige Stärken zu erkennen und zu nutzen. Ana und ich sind komplett unterschiedlich, aber wir ergänzen uns gut und wir haben die gleiche Einstellung zu Führung“, sagt Kopka und Rodriguez-Guerrero stimmt zu. 

„Gemeinsam zu Führen bringt bessere Entscheidungen und auch mehr Transparenz in unserer Entscheidungsfindung. Wir stimmen uns ab, nach welchen Kriterien wir Entscheidungen treffen“, so Rodriguez-Guerrero. „Das Wichtigste ist, dass man Respekt mitbringt und gegenseitige Wertschätzung“, wirft Kopka ein. Rodriguez-Guerrero bestätig: „Das eigene Ego muss draußen bleiben, man teilt sich nicht nur die Führungsposition, sondern auch die Fehler und die Erfolge.

Ana Rodriguez-Guerrero erzählt weiter: „Am Anfang haben wir unsere Situation analysiert, also welche Verantwortlichkeiten haben wir als Gruppenleiterinnen, welche Tätigkeiten, welche Projekte und welche Themen. Das haben wir uns aufgeteilt. Was uns auch enorm hilft in Richtung Kommunikation ist erstens ein gemeinsames Zusammensetzen, also reden was wichtig ist, so dass wir wirklich sicherstellen dass wir nichts vergessen haben und außerdem pflegen wir eine Art von Tagebuch in OneNote. Dort dokumentieren wir die wichtigsten Entscheidungen, die wir getroffen haben und auch die To-Dos, sodass die andere Person informiert ist. Fast alle Termine werden geteilt, es gibt kaum Termine, bei denen wir beide dabei sind.

„Mut zur Gestaltung“

Was auf Unternehmensseite dazugehört, bringt Stefanie Kopka noch auf den Punkt: „Die Firmenführungskultur ist sehr wichtig, Führungskräfte müssen den Mut zur Gestaltung oder die Not zum Umdenken haben. Es wird zunehmend Realität, dass Teilzeit Männer und Frauen betrifft.“

Daniela Schallert stellt eine Frage aus dem Chat: „Hat Euer Beispiel schon zu mehr geteilter Führung bei Bosch geführt?“ Stefanie Kopka antwortet: „Es gibt immer mehr Vernetzung von Leuten, die das interessiert. Wir kommunizieren auch mit deutschen Kollegen, mit Frauen und Männern, da gabs einige Bewegung in den letzten Jahren. Ana Rodriguez-Guerrero ergänzt: „Wir hatten schon mehrere Anfragen, ‚wie macht ihr das, wir hätten Interesse‘.“

Unzählige Fragen im Chat, Daniela Schallert greift eine auf: „Wie ist die Teilzeit-Aufteilung zwischen Frauen und Männern in Ihrer Abteilung? „In unserer Abteilung gibt es einen Gruppenleiter in Teilzeit, so Ana Rodriguez-Guerrero und Stefanie Kopka sagt: „Wir haben Männer, die in Teilzeit gehen, Männer, die in Karenz gehen, gerade im Bereich Softwareentwicklung ist das leichter möglich.“

Neue Studie: Duale Führung in Österreich

Schlussendlich spricht die Runde noch über die neue Studie „Einführung von Dualer Führung & Shared Leadership Modellen – Erfolgsfaktoren und Auswirkungen auf Organisationen“, die ABZ*AUSTRIA gemeinsam mit PwC Österreich und mit Unterstützung der Industriellenvereinigung veröffentlicht hat. Das Studien-Fazit: Duale Führung wird in Österreich immer beliebter. 65 Prozent der Führungskräfte wären bereit, die Chefetage zu teilen. Geteilte Führung funktioniert, branchenunabhängig, in allen Führungsebenen und sorgt für mehr Entlastung, Kosteneinsparung, verbesserte Life-Work-Integration und höhere Arbeitszufriedenheit. 

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