Blog | Feminismus in der Schule
Ilse Rollet: "In der AHS Rahlgasse versuche ich männliche Lehrer einzusetzen, die ihre Männlichkeit reflektieren und bewusste Role Models für Burschen sind."
Das Gymnasium in der Wiener Rahlgasse war das erste in Österreich, wo Mädchen der Zugang zu höherer Bildung und der Weg zur Universität ermöglicht wurden. Diese wichtige Tradition führt Direktorin Ilse Rollet fort.
Sie setzt sich in ihrem Berufsalltag für Chancengleichheit von Mädchen und Buben in der Schule sowie der Gesellschaft ein. In der AHS Rahlgasse ist gendergerechte Sprache ein Muss und Rollenklischees haben keine Chance.
Was sind feministische Bildungsziele?
Ilse Rollet: Das heißt für mich, Frauen zu befähigen ihre eigenen Stärken wahrzunehmen, sich durchzusetzen, mit zwei Füßen im Leben zu stehen und sich das vom Leben zu nehmen, was sie haben wollen und was Ihnen zu steht. Es hat nach wie vor damit zu tun, Frauen zu stärken, Selbstwert zu geben und ihnen zu sagen: Traut euch das, was Männer sich schon immer getraut haben!
Welche Änderungen würden Sie im Schulsystem vornehmen, um Mädchen zu stärken?
Ich kann die Antwort nicht auf das Schulsystem beschränken. Es ist immer eine große gesellschaftliche Frage, wie Frauen in der Gesellschaft gesehen werden, welche Zuschreibungen und welches Selbstbild sie haben. All das spielt in die Schule hinein. Alle handelnden Personen haben diese Bilder im Kopf. Das sind die Lehrer und Lehrerinnen, die diese Bilder halbbewusst oder unbewusst transportieren, und viele Vorstellungen, die Mädchen und Buben schon mitbringen. Da dagegen anzugehen, ist eine Sisyphusaufagbe und das sage ich jetzt als Leiterin einer Schule, die das seit 50 Jahren versucht. Wir versuchen die Mädchen und Buben darin zu bestärken, dass es nicht nur das eine Frauenbild oder Männerbild gibt, sondern ganz viel dazwischen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Mädchen die besseren Schulleistungen haben und öfter Matura machen. Das heißt die Abschlüsse sind gut, aber sie schaffen es nicht das dann im Berufsleben umzusetzen. Bei Burschen liegen schlechtere Leistungen oft an stereotypen Geschlechtervorstellungen. Da liegt es viel am Genderbewusstsein der Lehrpersonen.
Wie kann man ganz konkret diese Rollenklischees aufbrechen?
Man muss Vorstellungen thematisieren und beim Bewusstsein der Lehrpersonen anfangen. Das zähe an der feministischen Arbeit ist, dass ich es nicht nur kognitiv machen kann, sondern sehr viel selbst reflektieren und eigene Positionen in Frage stellen muss. In der AHS Rahlgasse versuche ich männliche Lehrer einzusetzen, die ihre Männlichkeit reflektieren und bewusste Role Models für Burschen sind, die auch eigene Positionen einmal in Frage stellen.
Warum finden Sie gendergerechte Sprache wichtig?
Weil es um die Sichtbarkeit von Frauen geht. Weil es völlig undenkbar ist, nur in der männlichen Form zu reden, wenn wir 50 Prozent Frauen sind. Beim Reden ist das sowieso keine Schwierigkeit und beim Schreiben gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Bei uns hat sich nicht das Binnen-I oder der Schrägstrich, sondern der Unterstrich durchgesetzt.
Auf eurer Webseite steht: "Gleichbehandlung Ungleicher führt nicht zu echter Chancengleichheit sondern reproduziert die bestehenden Ungleichverhältnisse." Was ist damit gemeint?
Der Cartoon mit dem Wettrennen unterschiedlicher Tierarten verdeutlicht das für mich sehr gut. Wenn es darum geht, wer beim 100-Meter-Lauf am schnellsten ist, sind nicht die Ameise, der Löwe und der Affe gleich schnell, weil sie unterschiedliche Voraussetzungen haben. Auf diese unterschiedlichen Voraussetzungen muss man genauso achten, wie darauf, wo man gesellschaftlich hinmöchte. Wir wollen verantwortungsvolle Männer, die ihre Privilegien reflektieren können und unter Umständen auch ein bisschen davon hergeben. Wir wollen starke Frauen, die darauf beharren, was sie können und wollen und das auch erreichen.